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Die Macht der Fake News: Datenkompetenz als Lösung?

Geschrieben von Henrik Ditz | 20. Aug 2021
Mit Datenkompetenz gegen Fake News 

 

Desinformation ist ein altbekanntes Phänomen, das durch das Internet an Verbreitung gewonnen und in den letzten Jahren geradezu bedrohliche Ausmasse angenommen hat. Eine wichtige Rolle dabei spielen Facebook, Twitter & Co.: Konnten Fake News & Verschwörungstheorien lange nur in den eher obskuren Ecken des Internets bestehen, erreichen sie heute dank der Algorithmen der sozialen Medien ein viel grösseres Publikum und schaffen gefährliche Echokammern. Wie gefährlich diese sein können, zeigen immer wieder und häufiger aufkommende verschwörungstheoretische Tendenzen: Das Vertrauen in die öffentliche Ordnung sinkt, das Gewaltpotential der vermeintlichen «Widerständler» wächst. 

 

Die wachsende Flut an Desinformation stellt Datenexperten vor neue Herausforderungen: Woher kommen die Fake News, wie gefährlich sind sie und was kann man dagegen tun? Warum fallen Menschen überhaupt auf YouTube-Videos mit obskuren Verschwörungstheorien herein und wie kann Datenkompetenz vor solchen Fehlschlüssen schützen? 

Agnotologie: Woher kommen die Fehlinformationen eigentlich? 

Der Begriff der Agnotologie wurde 2005 durch die Wissenschaftshistoriker Londa Schiebinger und Robert N. Proctor an der Stanford University popularisiert und bezeichnet eine wissenschaftliche Forschungsrichtung, die sich mit der Erschaffung und Aufrechterhaltung von Unwissen befasst 

Das Konzept ist angelehnt an die klassische Epistemologie, die auch als Erkenntnistheorie bezeichnet wird und sich mit dem Zustandekommen von Wissen befasst. Hier schafft die Agnotologie ein wichtiges Gegengewicht, denn sie postuliert: 

 

Unwissen beruht in vielen Fällen nicht auf fehlendem Wissen, sondern ist das Ergebnis von versehentlicher oder absichtlicher Manipulation.  

 

Ein klassisches Beispiel hierfür ist die staatliche Zensur und Propaganda, also das Unterdrücken echter Informationen sowie die Produktion und Verbreitung von irreführenden oder falschen Meldungen. Doch auch private Akteure – Interessenverbände, Unternehmen und Individuen – können an der Erschaffung und Aufrechterhaltung von Unwissen beteiligt sein.  

 

Klassische Instrumente der Desinformation sind: 

  • die Erstellung manipulierter, vermeintlich wissenschaftlicher Studien 
  • die Schaffung von Forschungs- bzw. Entscheidungsgremien, die hauptsächlich zur Verzögerung missliebiger Entscheidungen dienen 
  • die Gründung offizieller Interessenverbände und verdeckte Gründung bzw. Förderung vermeintlicher Bürgerinitiativen 
  • die Gewinnung prominenter Fürsprecher, die Unwissen verbreiten bzw. etabliertes Wissen in öffentlichkeitswirksam in Frage stellen 
  • die Manipulation sozialer Medien durch Bot-Netzwerke u.ä. 

 

Das bekannteste Beispiel für die gezielte Schaffung von Unwissen war vermutlich die Desinformationskampagne der Tabakindustrie: Sie erkannte die zunehmenden Erkenntnisse zu den Gesundheitsrisiken des Rauchens als Bedrohung ihres Geschäftsmodells und reagierte mit der gezielten Verbreitung von verharmlosenden Fehlinformationen, um die öffentliche Meinung zu ihren Gunsten zu beeinflussen und gesetzliche Beschränkungen (Regulierung des Schadstoffgehalts von Zigaretten, Jugendschutz, Rauchverbote etc.) bestmöglich auszubremsen.  

 

So ist auch der aktuelle Boom der Fake News – ob nun zur Corona-Pandemie, zur Klimakrise oder zur vermeintlich gefälschten US-Wahl 2021 – als Ergebnis politischer, kultureller und kommerzieller Konflikte zu verstehen. 

Psychologie: Warum fallen wir so leicht auf Desinformation herein? 

Wir Menschen betrachten uns gern als vernunftbegabte Wesen, die kritisch denken und rational handeln. Tatsächlich aber achten wir bei vielen Entscheidungen viel stärker auf soziale Signale als auf sachliche Argumente. 

Das hat zum einen evolutionäre Gründe: Wenn alle meine Steinzeit-Nachbarn sagen, dass man diesen roten Pilz mit den weissen Punkten nicht essen sollte, ist es meist besser, dieser Warnung Folge zu leisten anstatt einen Selbstversuch zu riskieren. 

Diesen Mechanismus nutzen auch die Produzenten von Fake News, bspw. mit Bot-Armeen:  

  • Wenn plötzlich auf hunderten Social-Media-Profilen vor feindlichen Aliens, einer Corona-Verschwörung oder Chemtrails gewarnt wird, ist es leicht, sich mitreissen zu lassen.  
  • Das funktioniert umso besser, je vertrauter und damit vertrauenswürdiger diese Profile erscheinen – denn einer Warnung unserer Höhlennachbarn glauben wir natürlich eher als den Warnungen irgendwelcher Fremder, die womöglich noch anders aussehen oder sprechen als wir.  
  • Sobald die Bot-Meldungen dann durch echte Nutzer aufgegriffen und geteilt werden, werden sie noch wirkmächtiger, da wir unseren direkten Verwandten und Bekannten natürlich noch grössere Glaubwürdigkeit zuschreiben – oder zumindest nicht aktiv widersprechen, um Konflikte auf der nächsten Familienfeier zu vermeiden. 

Fehlzuschreibung: Das sagen doch alle! 

Die Fehlattribution ist ein weiteres Phänomen des menschlichen Denkens, das sowohl von der Werbeindustrie wie auch von Fake-News-Produzenten gern genutzt wird:  

 

Fehlzuschreibung bedeutet, dass wir uns oft nur an den Inhalt einer Meldung erinnern – nicht aber daran, wo und vor allem von wem wir es gehört haben.  

 

Wenn also bspw. eine Molkerei Werbung mit dem Slogan «Quark macht stark» schaltet, dann bleibt der flotte Spruch zwar im Gedächtnis – die Quelle dagegen nicht. Und je öfter der Slogan wiederholt wird, ob auf Plakaten oder als ironisches Zitat in der Kantinenschlange, desto vertrauter klingt er – bis man ihn irgendwann für Allgemeinwissen hält.  

 

Derselbe Mechanismus funktioniert auch für politische oder anderweitig motivierte Desinformation – ein klassisches Beispiel wären Schmutzkampagnen im Wahlkampf, wo negative Gerüchte über den Gegenkandidaten gestreut werden, in der Hoffnung, dass schon irgendwas hängen bleiben und dessen Ruf beschädigen würde. 

Bias: Passt mir nicht? Glaub ich nicht!  

 

Jeder Mensch hat gewisse Meinungen, Überzeugungen und Vorlieben – und diese prägen unser vermeintlich kritisches Denken mehr, als man glaubt! Die Psychologie beschreibt diese Art kognitiver Verzerrung mit verschiedenen Begriffen – am bekanntesten ist dabei der sog. Bestätigungsfehler (engl. confirmation bias):  

 

Der Bestätigungsfehler beschreibt die Neigung, vor allem den Informationen zu glauben, die die eigene vorgefasste Meinung bestätigen.  

 

Das heisst: Je vertrauter und «besser verdaulich» die Information erscheint, desto weniger wird sie hinterfragt – «missliebige» Informationen dagegen werden deutlich misstrauischer betrachtet und auf mögliche Unstimmigkeiten abgeklopft. 

 

Wer hier schnell einwendet, dass so etwas ja höchstens weniger belesenen Menschen passieren könne hat leider Unrecht: Soziologische Studien zeigen, dass gerade gut belesene Menschen zu Bestätigungsfehlern neigen!  

 

Umso mehr stellen sich die Fragen:

Wie kann man sich vor Desinformation schützen – auf individueller wie auch auf gesellschaftlicher Ebene? Kann Datenkompetenz helfen, unser Steinzeit-Hirn zu disziplinieren und kognitive Verzerrungen zu vermeiden? Oder ist es vielmehr die Aufgabe von Datenexperten, Desinformation zu identifizieren und die Urheber zu enttarnen?

 

Interessant dazu auch der Korrelation vs. Kausalität Artikel mit argumentativem Anhang...